David Wick: Coming Out in der Kreisliga

"Schwuler Pass!" Wer Fußball spielt oder schaut, hat solch eine Äußerung auf oder neben dem Platz bestimmt schon mal gehört. Bedauerlich und bescheuert, denn Menschen wie David Wick können sich dadurch angegriffen fühlen. Anlässlich des Coming Out Day spricht der 33-Jährige mit FUSSBALL.DE über Homosexualität im Amateurfußball und macht Vorschläge, wie Fußball- und LGBTQ+-Community aufeinander zugehen können.

FUSSBALL.DE: Herr Wick, Sie trainieren im mittelrheinischen Kreis Köln die zweite Mannschaft von Ideal C.F. Casa de España. Aber damit nicht genug, richtig?

David Wick: Genau, selbstverständlich stehe ich noch als Spieler zur Verfügung (lacht) . Außerdem bin ich seit ca. vier Jahren Teil des Vorstands und kümmere mich um unser Vereinsheim. Dort ist mir der Erhalt des spanischen Einflusses wichtig. Besonders am Herzen liegen mir das Zusammenbringen aller Mitglieder und die Integration unserer Jugendspieler in den Seniorenbereich.

Was ist das Besondere an Ihrer Mannschaft und dem Verein?

"Vielleicht müssten sich 100 Spieler gleichzeitig bekennen. Wenn die Aufmerksamkeit vom Einzelnen weggeht, könnte eine solche Aktion wirksam sein"

Wick: Wir schaffen es seit Jahren, eine einzigartige Atmosphäre aus Respekt und Wertschätzung untereinander zu pflegen. Trotz recht hoher Fluktuation gewinnen wir Jahr für Jahr Spieler hinzu, die diese Werte lieben und leben. Fußball lebt auch in der Kreisliga von Konkurrenzkampf und Ambitionen, dennoch schätzen und respektieren wir uns gegenseitig. Unser Miteinander halte ich für einzigartig in der Kölner Kreisliga. Dafür sind wir als Verein, aber auch speziell als zweite Mannschaft, bekannt und geschätzt.

Sie leben offen in einer homosexuellen Beziehung. Nach Ihrem Empfinden: Schwul sein in der Kreisliga – wie ist der Status Quo?

Wick: Ich kenne niemanden, der schwul ist und Fußball spielt. Beim Nachdenken überrascht es mich, denn durch meine Arbeit auf der Schaafenstraße (Anm. d. Red.: Kölner Hotspot für die LGBTQ+-Community) sowie der jahrelangen Tätigkeit bei Casa España sollte ich genügend Personen kennen, die beiden Gruppen angehören. Vielleicht ist niemand schwul, dies widerspräche aber jeglicher Logik und Statistik. Grundsätzlich sollte die sexuelle Orientierung im Fußball kein Tabuthema sein. Im Damenfußball ist Homosexualität, sowohl auf Kreis- als auch auf internationaler Ebene, viel präsenter und aus meiner Erfahrung "anerkannter“. Diesen Umgang würde ich mir auch für den Herrenfußball wünschen.

Erinnern Sie sich an homophobe Vorfälle Ihnen gegenüber?

Wick: Ich bin froh, nie negative Erfahrung mit Homophobie gegen meine Person gemacht zu haben. Für mich ist Homosexualität auch kein Angriffspunkt. Selbstverständlich erlebe ich in meinem Umfeld aber homophobe Kommentare, die ich genauso verabscheue wie jede andere Form der Diskriminierung. Rückständige Menschen suchen in ihrem Gegenüber vermeintliche Schwächen. Homosexualität oder die Herkunft werden da gerne genommen, was natürlich absurd ist. Von meinen Spielern werde ich häufiger wegen meiner Holzfüße diskriminiert, was mich allerdings nicht trifft, da ich sehr gut mit ihnen umgehen kann (lacht) .

Auf Fußballplätzen kommt es leider mitunter zu schwulenfeindlichen Äußerungen. Wie kann man das unterbinden?

Wick: Hier muss viel differenziert werden. Warum fallen homophobe Kommentare? Oftmals ist der Kontext derselbe, wenn jemand als "Mädchen“ bezeichnet wird. Der Glaube, Fußball sei besonders männlich, ist weit verbreitet – also widerspricht alles Weibliche und Schwule der fußballerischen Qualität. Das ist weder cool noch modern, für mich aber nicht weiter tragisch. Je weltoffener ein Mensch ist, desto weniger wird er diskriminierende Äußerungen gebrauchen. Je vielfältiger das eigene Umfeld ist, desto weniger wird man etwas als Beschimpfung verwenden, was auf jemanden zutrifft, den man persönlich kennt und schätzt. Die wenigen Fälle, in denen homophobe Kommentare gezielt und bewusst verletzend gemeint sind, halte ich für gefährlicher. In solchen Situationen wäre es wünschenswert, dass eine Mehrheit sich mit dem Betroffenen klar solidarisiert. Dadurch entsteht Sicherheit, dass nur derjenige falsch liegt, der die Beschimpfung ausgesprochen hat.

"Der Glaube, Fußball sei besonders männlich, ist weit verbreitet.“ Möglicherweise bleiben Menschen der LGBTQ+-Community dem Fußball also fern, weil sie das Gefühl haben, nicht dazuzugehören. Gibt es deswegen so wenig Coming Outs im Fußball?

Wick: Bei dieser Sichtweise würden "männlichen“ Attributen Stärke, "weiblichen“ Attributen Schwäche zugeordnet werden. Ergo wäre im Männerfußball alles, was weiblich ist, schlecht – im Frauenfußball wäre alles, was männlich ist, gut. Dieser plumpe Schluss zeigt, wie verwerflich eine engstirnige, vorurteilsbehaftete Sichtweise ist. Ob jemand sich für Fußball interessiert oder fußballerisches Talent besitzt, ist unabhängig von seiner geschlechtlichen oder sexuellen Identität. Dass die LGBTQ+-Community dem Fußball bewusst fernbleibt, denke ich nicht – das ist ebenfalls ein zu starkes Schubladendenken. An meinem eigenen Beispiel: Ich spiele unabhängig von einer Community Fußball, mein Umfeld ist durch diese nicht geprägt. Insofern bin ich der Meinung, dass das Thema Outing schlichtweg Vorbilder benötigt.

Was wünschen Sie sich vom organisierten Fußball für die LGBTQ+-Community?

Wick: Es gibt viele Kampagnen zur Stärkung der Toleranz, die löblich und wichtig sind. Für mich sind es dennoch zunächst nur Absichtserklärungen, solange sie nicht in der Praxis angewendet werden. Das heißt: Heterosexuelle Menschen versichern, Toleranz gegenüber schwulen Fußballspielern zu zeigen. Dennoch outet sich niemand – und die ganze Toleranz bleibt Theorie. Erst wenn ein offener Umgang mit schwulen Profispielern vorliegt, sehe ich die Akzeptanz angekommen. Auch in den Bundesligen widerspricht es jeglicher Logik und Statistik, dass kein einziger Spieler schwul oder bisexuell ist. Vielleicht müssten sich 100 Spieler gleichzeitig dazu bekennen. Wenn die Aufmerksamkeit vom Einzelnen weggeht, könnte eine solche Aktion wirksam sein.

Also sehen Sie auch die LGBTQ+-Community in der Pflicht?

Wick: Integration, Akzeptanz und Respekt sind immer ein gegenseitiger Auftrag. Um Grenzen abzubauen, sollten alle Beteiligten aufeinander zugehen.

Ist Köln als Standort besonders tolerant?

Wick: Einerseits ja, da die Community hier stark vertreten ist und somit viele Erfahrungen und Interaktionen stattfinden, weshalb sexuelle Vielfalt zur Normalität gehört. Toleranz und Offenheit müssen aber von beiden Seiten kommen. Ich bin nicht glücklich darüber, dass Teile der Community sich fast ausschließlich innerhalb ebendieser bewegen, Unterschiede stark betonen und somit auch von der anderen Seite für Abgrenzung sorgen.

Sie sind für viele sicherlich ein Vorbild. Was geben Sie der Fußball- und LGBTQ+-Community mit auf den Weg?

Wick: Schwul oder in anderer Form Teil der Community zu sein, ist keine Schwäche und damit auch keine Angriffsfläche. Wer andere respektvoll und wertschätzend behandelt, wird auch von anderen für das respektiert, was man ist. Ich stehe zu mir und bin sehr glücklich, im Fußball meine Zeit mit Freunden verbringen zu dürfen, die dies weder trotz noch wegen meiner sexuellen Orientierung tun.

Nimm dir ein paar Minuten Zeit und mache bei einer Umfrage zum Thema "Homophobie im männlichen Amateurfußball" teil. Hier geht's zur Umfrage.

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David Wick kennt sowohl die Fußball- als auch die LGBTQ+-Community bestens: "Um Grenzen abzubauen, sollten alle Beteiligten aufeinander zugehen."

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Frauenfußball als Vorbild: "Im Damenfußball ist Homosexualität, sowohl auf Kreis- als auch auf internationaler Ebene, viel präsenter und aus meiner Erfahrung anerkannter."

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"Je vielfältiger das eigene Umfeld ist, desto weniger wird man etwas als Beschimpfung verwenden, was auf jemanden zutrifft, den man persönlich kennt und schätzt", meint David Wick zu schwulenfeindlichen Äußerungen.

Autor*in
Autor/-in: Oliver Freier